Das Familiengrab Jesu:
Tatsache oder Fiktion?
Wurden die Gebeine Jesu entdeckt?
Wurde in Talpiot, einem Vorort Jerusalems, das Grab Jesu Christi entdeckt?
In einem Dokumentarfilm für den US-amerikanischen TV-Sender Discovery Channel aus dem Jahr 2007 versuchten James Cameron als Produzent (der Regisseur von Titanic) und der jüdische Regisseur Simcha Jacobovici, den Beweis anzutreten, dass man in der Nähe Jerusalems die Grabhöhle und die Gebeine Jesu gefunden habe. Darüber hinaus führten Cameron und Jacobovici Indizien für die These ins Feld, dass Jesus mit Maria Magdalena einen Sohn gezeugt habe.
Wenn man aber tatsächlich das Grab Jesu Christ gefunden hätte, dann würde die gesamte christliche Geschichte auf einer falschen Behauptung basieren – nämlich dass Jesus körperlich von den Toten auferstanden sei, von mehr als 500 Anhängern gleichzeitig gesehen worden sei, seine Jünger 40 Tage lang unterrichtet habe und dann in den Himmel aufgestiegen sei. Bevor wir uns aber in eine weitere Verschwörung nach da Vinci-Muster verstricken, wollen wir einen Blick auf die Fakten hinter Camerons Behauptung werfen.
Die angeblichen Fakten:
1. Im Jahr 1980 wurden in einer ausgegrabenen Grabstätte im Jerusalemer Vorort Talpiot zehn Knochenkästen (Ossuarien) aus Kalkstein gefunden, die auf das erste Jahrhundert datiert werden konnten.
2. Es wurden sechs Inschriften mit Namen entdeckt, die denen einiger Familienangehöriger und Jünger Jesu ähnlich oder mit diesen identisch waren:
- Jeschua (Jesus), Sohn von Joseph
- Maria
- Mariamenou Maria
- Matthäus
- Joseh (Joseph)
- Judas, Sohn Jesu
3. Cameron versucht zu beweisen, dass Mariamenou Mara eigentlich Maria Magdalena sei und dass sie und Jesus zusammen einen Sohn namens „Judas, Sohn Jesu“ gehabt hätten.
4. DNA-Analysen von Geweberesten aus den Ossuarien ergaben, dass Jesus und Mariamenou Mara nicht miteinander verwandt waren, was der Möglichkeit Raum gab, dass sie verheiratet waren und ein Kind hatten.
Ein kritischer Blick auf die Indizien
Wie wahrscheinlich ist es also, dass es sich hier um das Grab Jesu handelt? Nach Cameron und Jacobovici lässt die sich statistische (Un-)Wahrscheinlichkeit, dass diese Namen zu einer anderen Familie als der von Jesus Christus gehören, auf 600 zu 1 beziffern. Forscher bezweifeln allerdings viele der ihrer Interpretation der Fakten zugrunde liegenden Annahmen. Lassen Sie uns sehen:
1. Es stimmt, dass diese Ossuarien in einem antiken Grab entdeckt wurden. Allerdings wurden in Jerusalem Tausende ähnlicher Grabstätten entdeckt. Zudem wurden Ossuarien häufig für die Gebeine von mehr als einem Menschen verwendet. In diesem Fall enthielt das Grab nach Angaben von Dr. Craig Evans, PhD, dem Verfasser des Buches Jesus and the Ossuaries, die sterblichen Überreste von etwa 35 verschiedenen Verstorbenen, von denen etwa die Hälfte sich in diesen Ossuarien befanden. Evans weist auch darauf hin, dass die Grabstätte stark kontaminiert war.
2. Haben Cameron und Jacobovici Recht mit ihren Behauptungen bezüglich der Namen auf den Ossuarien? Nicht, wenn man auf viele Experten hört. Manche waren auf Aramäisch, andere auf Hebräisch und wieder andere auf Griechisch angegeben. Das verweist darauf, dass sie nicht im gleichen Zeitraum bestattet wurden. Es ist nicht einmal klar, ob „Jesus“ auf einem der Ossuarien namentlich genannt ist. Die persönliche Untersuchung des Ossuars durch Dr. Evans war nicht beweiskräftig. Stephen Pfann, ein Bibelforscher an der University of the Holy Land in Jerusalem, ist sich nicht sicher, dass der Name „Jesus“ an den Särgen richtig gelesen wurde. Seiner Ansicht nach ist es wahrscheinlicher, dass der Name „Hanun“ lautet. Alte semitische Schriftzeichen sind bekanntermaßen schwer zu entziffern.
Außerdem sollte man anmerken, dass die Namen Jesus, Maria und Joseph im ersten Jahrhundert extrem weit verbreitet waren. Etwa 25 % aller Frauen zu Zeiten Jesu trugen den Namen Maria. Auch Joseph war ein beliebter Name, und etwa jeder zehnte Mann hieß „Jeschua“. Dr. Evans verweist darauf, dass in Jerusalem etwa 100 Gräber mit dem Namen „Jesus“ und 200 mit dem Namen „Joseph“ entdeckt wurden. Und der Name „Maria“ steht noch auf vielen mehr.
„Jeder Name mit Ausnahme von Mariamenou schien in dieser Zeit sehr verbreitet zu sein, aber erst im Jahr 1996 drehte die BBC einen Film, in dem die Vermutung geäußert wurde, dass es sich hier angesichts der Kombination der Namen um diese Familie handeln könne. Die These wurde allerdings letztendlich verworfen, weil – wie der neutestamentliche Forscher Richard Bauckham geltend machte – ‚Namen mit biblischem Anklang so häufig vorkommen, dass die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass dies die berühmte Familie Jesu ist, sehr gering ist.‘“
3. Die Unterstützung der gesamten Grab-Jesu-Theorie durch die Statistik steht und fällt ganz mit der Frage von Maria Magdalena. Bedeutet der Name Mariamenou Mara, wie Cameron und Jacobovici zu beweisen versuchen, also tatsächlich Maria Magdalena? Nicht, wenn man den meisten Sachverständigen glaubt. Ihre Interpretation wird von den Fakten einfach nicht gestützt. Bauckham schreibt: „Die erste Verwendung von „Mariamenou“ in der Bedeutung Magdalena geht auf einen im Jahr 185 geborenen Forscher zurück, der die These vertrat, dass Magdalena zum Zeitpunkt ihres Todes nicht so genannt worden wäre.“
Cameron und Jacobovici versicherten sich zur Stützung ihrer Argumente zwar der Mithilfe Andrey Feuervergers, eines Statistikers, dessen Zahlen jedoch auf Annahmen beruhten, die von der Mehrheit der Forscher in Zweifel gezogen werden. Tatsächlich gibt Feuerverger selbst zu, dass diese Annahmen ihm von Jacobovici vorgegeben worden seien und dass der wichtigste Faktor bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeit von 600 zu 1 die Gleichsetzung von Mariamenou Mara mit Maria Magdalena gewesen sei. Feuerverger verteidigt seine Rolle in einem Interview mit der Zeitschrift Scientific American: Ich habe die Verwendung der Zahl 1 zu 600 in dem Film genehmigt. Ich stehe auch dahinter, wobei man aber wissen muss, dass diese Zahlen auf der Basis von Annahmen berechnet wurden, um deren Verwendung ich gebeten wurde.“
Eine von Dr. Randy Ingermanson vorgenommene statistische Wahrscheinlichkeitsanalyse zeigt jedoch auf, dass die Chance, dass es sich tatsächlich um das Grab von Jesus von Nazareth handelt, bei weniger als 1 in 10.000 liegt.
4. Was muss man aber von den DNA-Analysen halten? Beweisen diese nicht, dass Jesus in dem Grab lag? Wir wollen einen näheren Blick darauf werfen, was bei der DNA-Analyse wirklich gemessen wurde. Den Ossuarien, die Jacobovici als sowohl zu Jeschua als auch zu Mariamenou gehörig identifiziert hatte, wurden Überreste (es waren keine zu untersuchenden Gebeine mehr vorhanden) entnommen, die einer mitochondrialen DNA-Untersuchung unterzogen wurden, um festzustellen, ob sie in einer verwandtschaftlichen Beziehung zueinander standen. Die Ergebnisse waren negativ, was zeigte, dass die beiden Personen mütterlicherseits nicht miteinander verwandt waren. Er ging somit weiterhin davon aus, dass die beiden miteinander verheiratet waren. Bauckham ist davon nicht beeindruckt. Er schreibt: „Wenn ‚Jesus‘ und ‚Mariamenou‘ nicht in mütterlicher Linie verwandt waren, warum sollte man dann den voreiligen Schluss ziehen, dass sie Mann und Frau und nicht einfach nur väterlicherseits verwandt waren?“
Die Tatsache, dass genau diese Namen im gleichen Grab gefunden wurden, hat Spekulationen befeuert, dass es sich wirklich um das Grab Jesu handeln könne. Viele Forscher glauben jedoch, dass Cameron und Jacobovici ihre Indizien zur Stützung einer These zurechtgebogen haben, für die es einfach keine Grundlage gibt. Darüber hinaus müsen viele zu Widersprüchen führende Fragen beantwortet werden, bevor man übereilt zu einem Schluss kommt, der Jahrhunderte historischer Forschung auf den Kopf stellen würde.
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