Wir wollen die These Teabings für den Augenblick mal akzeptieren. Warum also hätte das Konzil von Nizäa beschließen sollen, Jesus zu einer Gottheit zu „befördern“?
„Im Grunde ging es nur um die Macht“, fährt Teabing fort. „Christus weiterhin als Messias gelten zu lassen war für Kirche und Staat zu bedenklich. Viele Kenner dieser Materie sind der Ansicht, dass die angehende römisch-katholische Staatskirche den Urchristen Jesus gleichsam geraubt hat, indem sie über seine diesseitige Botschaft der Nächstenliebe und Menschlichkeit den undurchdringlichen Mantel einer jenseitigen Göttlichkeit breitete, um auf diese Weise ungestört ihren weltlichen Machenschaften nachgehen zu können.“[4]
Sakrileg ist in vielerlei Hinsicht die ultimative Verschwörungstheorie. Wenn Brown mit seinen Behauptungen Recht hat, wurden wir alle belogen – von der Kirche, von der Geschichte und von der Bibel. Vielleicht auch von denen, denen wir am meisten vertrauen: unseren Eltern oder Lehrern. Und das alles nur wegen des schnöden Verlangens nach Macht.
Auch wenn Sakrileg eine Fiktion ist, beruht seine Prämisse zum großen Teilen auf historischen Ereignissen (dem Konzil von Nizäa), historischen Persönlichkeiten (Konstantin und Arius) und historischen Dokumenten (den gnostischen Evangelien). Wenn wir der Verschwörung auf den Grund gehen wollen, müssen wir uns den Anschuldigungen Browns stellen und Dichtung und Wahrheit auseinanderhalten.
Konstantin und das Christentum
In den Jahrhunderten vor der Herrschaft Konstantins über das römische Reich wurden die Christen unbarmherzig verfolgt. Dann aber, inmitten eines Krieges, berichtete Konstantin, am Himmel das leuchtende Bild eines Kreuzes gesehen zu haben, das die Aufschrift „Durch dieses siege“ getragen habe. Er zog unter dem Zeichen des Kreuzes in die Schlacht und übernahm die Herrschaft über das Reich.
Konstantins augenscheinliche Konvertierung zum Christentum war ein Wendepunkt in der Kirchengeschichte. Rom wurde zu einem christlichen Reich. Erstmals seit fast 300 Jahren war es relativ sicher, ja sogar „cool“, Christ zu sein.
Die Christen wurden wegen ihres Glaubens nicht mehr verfolgt. Dann bemühte sich Konstantin um die Vereinigung seines östlichen und westlichen Reiches, das durch Glaubensspaltungen, Sekten und Kulte, denen es hauptsächlich um Fragen der Identität Jesu Christi ging, nachhaltig zersplittert war.
Sakrileg enthält einige Körnchen Wahrheit, die eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg jeder Verschwörungstheorie sind. Allerdings macht der Roman aus Konstantin einen Verschwörer. Wir wollen uns also einer zentralen, von Browns These aufgeworfenen Frage zuwenden: Hat Konstantin die christliche Doktrin der Gottheit Jesu erfunden?
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